Jedem Berg sein Gipfelkreuz

    Was gibt es Schöneres, als einen Berg zu erklimmen, wo zuoberst ein Gipfelkreuz steht? Es ist vollbracht, Ziel erreicht. Hans-Joachim Löwer hat ein faszinierendes Buch über tragische wie freudige Geschichten geschrieben, die sich um die Gipfelkreuze in den Alpen ranken.

    (Bild: zVg) Faszinierend: Es ranken sich viele Geschichten und Sagen um die Gipfelkreuze.

    3000 bis 4000 Kreuze zieren die Gipfel des Alpenbogens. Die meisten befinden sich in Österreich, Italien und der Schweiz. Hans-Joachim Löwer, früherer Journalist beim «Stern» und bei «National Geographic» und seit 2001 freier Autor, hat in zweijähriger Arbeit ein Buch über die 100 spannendsten Geschichten über Gipfelkreuze in den Alpen verfasst, darunter 17 in der Schweiz. Der Aufwand war immens: 20’000 Autokilometer, 60’000 Höhenmeter und 500 Stunden zu Fuss, 100 Archivstunden. Es hat sich gelohnt, dem Autor ist ein Volltreffer gelungen.

    Träume, Triumphe, Tragödien
    Jedes Gipfelkreuz ist anders, ein Unikat. Da finden sich grosse und kleine, schlichte und auch wahre Kunstwerke. Gipfelkreuze wurden von Friedhöfen geholt, aus Flugzeugtrümmern und Werkstattschrott gebastelt. Da stecken Geschichten drin, die bis zu 200 Jahre zurückreichen. Sie zeugen von erbitterten Kulturkämpfen: Papst gegen Parteien, Bischöfe gegen den Zeitgeist, Priester gegen Nazis. Aber es sind neben Blitz und Donner, Einzelschicksalen, Kriegswunden und Todesdramen auch schöne Geschichten und wahre Heldentaten dabei, die jedes (Bergsteiger-)Herz erfreuen.

    Besonders eindrücklich ist die Geschichte des Gipfelkreuzes auf dem Langkofel im Südtirol. Es geht um den jungen Bergführer Toni Demetz, der 1952 auf dem Gipfel vom Blitz getroffen wird; er und einer seiner zwei Gäste erfrieren schwer verletzt im frisch gefallenen Schnee. Vater Demetz, ebenfalls Bergführer, findet seinen toten Sohn am nächsten Tag auf dem Rücken liegend, die Augen zum Himmel gerichtet. Zwei Jahre nach dieser Tragödie wird bei einer Bergmesse ein Gipfelkreuz für den Verstorbenen aufgerichtet; der Vater ist als gebrochener Mann dabei.

    Symbol für unsere abend­ländische Kultur
    Gipfelkreuze sind etwas Alpentypisches. In Südamerika, Afrika oder im Himalaya gibt es sie nicht. Sie stellen somit ein Symbol für unsere abendländische Kultur dar. Aber nur mit Einschränkungen: In Frankreich, wo Staat und Kirche seit 1905 strikt getrennt sind, werden religiöse Symbole im öffentlichen Raum, so auch Gipfelkreuze, grundsätzlich nicht geduldet. Aber auch in der Schweiz sind sie nicht unumstritten: Mehr und mehr werden sie entweiht, indem sie als Wäscheständer für schweissnasse T-Shirts herhalten müssen, oder sie werden verschmiert oder sogar umgesägt, wie vor über 10 Jahren auf dem Vanil Noir, dem höchsten Berg der Freiburger Voralpen.

    Es geht aber noch krasser: Auf dem Appenzeller Gipfel mit dem hehren Namen «Freiheit» wurde 2016 direkt neben dem Gipfelkreuz ein drei Meter hoher Halbmond errichtet, ein Symbol für den sunnitischen Islam. Kein Wunder, dass dann ein richtiger Shitstorm losging. Der Halbmond fordert das Kreuz heraus – das ist doch wirklich der Gipfel. Wir sollten zu unseren abendländischen freiheitlichen Werten stehen, gerade auch als Antwort auf die zunehmende Bedrohung durch autarkische Regimes wie jene Russlands und des radikalen Islam – und dazu gehört auch ein Kreuz auf jeden richtigen Gipfel.

    Ruedi Horber


    Gipfelkreuze – Träume, Triumphe, Tragödien von Hans-Joachim Löwer, Athesia-Verlag, 2019 Bozen, 352 Seiten, mit vielen Fotos

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